Mit reichlich Verspätung und einigen freundlichen, aber bestimmten Hinweisen von Lieblingsmenschen, gibt es nun doch etwas zu meinem Monat in Nordindien zu lesen.

Neu Delhi – Jaisalmer – Jodhpur – Udaipur

Pushkar – Jaipur – Abhaneri – Agra – Varanasi – Neu Delhi

Das klingt für mich immer noch nach Abenteuer, Unbekanntem und Herausforderung. Ich wusste nicht wieso und es gibt augenscheinlich genug Gründe weshalb man Indien als Reiseziel überdenken kann (Kastensystem, Stellung der Frau, Umweltverschmutzung, Gesundheitsstandards), aber es stand von vorneherein fest, dass Indien mit in die Reiseroute gepackt wird. Warum, weiß ich bis heute nicht. Ich weiß nur, dass es sich trotz allem gelohnt hat. Selten war ich so fasziniert, erschrocken, erstaunt, geschockt und zerrissen zwischen „Boah, das ist ja cool!“ und „Echt jetzt? Ihr seid doch bescheuert!“, wie in diesem knappen Monat.

 

 

Viele haben mich vorher gefragt, ob ich das wirklich machen will und dann auch noch alleine. Ja, ich will es machen – Nein, nicht alleine.

Am Ende der Welt in Argentinien kennengelernt, in Peru wieder getroffen und für Indien verabredet, trete ich in Neu Delhi aus dem Flughafengebäude und werde von meiner Freundin Franziska aus der Schweiz umarmt. Wir können es beide kaum fassen, dass wir jetzt hier sind. Sie war schon einmal zum Wandern in Nepal und ist deshalb etwas mehr vorbereitetet auf das was auf uns zukommt. Das glaube ich zumindest, aber sie ist genauso erschlagen wie ich von dieser Millionenstadt. Dieser Metropole über der ein konstanter Schleier aus schlechter Luft hängt, der die Sonne und somit das Licht schluckt und dich sofort und mit unmittelbarer Härte in Indien „Willkommen“ heißt.

In Neu-Delhi bleiben wir zwei Nächte, fahren in den für Frauen reservierten Abteilen U-Bahn und steigen langsam ein in einen Monat vollgestopft mit Religion, Geschichte, Menschen, Tuk-Tuks und Chai (Tee). Diese beiden Nächte reichen zu Beginn auch. Zumindest für unseren Geschmack und der Tatsache, dass der innere Kampf den man mit sich selbst in Indien und mit seiner Kultur führt sofort anfängt sobald man durch die Straßen dieses Molochs stolpert. Schaut man nach oben in den orange-dreckigen Himmel, sieht man Affen, die sich auf Stromleitungen von einem dichtgedrängten Haus zum nächsten schwingen. Schaut man geradeaus, sieht man Menschen über Menschen, die scheinbar alle hektisch umherlaufen und es dabei gleichzeitig schaffen dich anzuschauen und ihren Kopf zu wiegen. Schaut man nach unten sieht man Dreck, gemischt mit dem Abfall der letzten Wochen… wenn das mal die richtige Entscheidung war!?

 

 

Wir freuen uns in der dritten Nacht nach Jaisalmer aufzubrechen. Das erste mal ein „Über-Nacht-Zug“ mit Indian Railways – Indiens Zuggesellschaft. Im 19. Jahrhundert wurde damit begonnen das Streckennetz auszubauen und heute ist es das wichtigste Fortbewegungsmittel. Jeden Tag fahren zehntausende Reisezüge, jährlich werden Milliarden Passagiere befördert. Im Schlafwagon der gehobenen Klasse gibt es verschiedene Abteile, was sie allerdings alle nicht haben: Türen. Mit Glück erwischt man eine 4er Kabine, die einen Vorhang hat. Wir schlafen in dieser ersten Nacht in genau so einer Kabine und können uns im Vergleich zum Rest unserer kleinen Reisegesellschaft, der wir uns im Vorhinein angeschlossen haben, wirklich glücklich schätzen. Die anderen sind alle verstreut in unterschiedlichen Waggons – ohne Vorhänge. Und keine Vorhänge bedeutet: gar keine Privatsphäre. In ein paar Fällen heißt das sogar: Wach werden und in die Kameralinsen der Smartphones einer indischen Familie blicken die mit 5 Leuten in 2 Betten liegen und dich als ihr neues Facebookprofilbild auserkoren haben. Irre und übergriffig, aber auch irgendwie ein bißchen nett weil man so die Chance hat ins Gespräch zu kommen. Eins haben wir mit oder ohne Vorhang aber alle gemeinsam. Das Loch im Boden, das als Toilette genutzt wird und das wir liebevoll „Shithole“ taufen. Erschreckender Weise ist es deutlich besser als die westliche Toilettenversion am anderen Ende des Waggons. Trotzdem eine der Erfahrungen die man mal gemacht haben kann, aber kein zweites mal braucht – uns jedoch auf insgesamt drei langen Zugfahrten bevorsteht.

 

 

Diese Zugfahrten gehören für mich mit zu den wichtigsten Abschnitten, dieser Reise. Ich kenne kein anderes Land in dem man einfach selbst mal die Zugtür während der Fahrt öffnet und sein Gesicht in den Fahrtwind streckt. Aber der eigentliche Grund ist, dass man beim Reisen ganz häufig das Gefühl für Entfernung und Veränderung verliert bzw. nicht zu schätzen weiß was zwischen dem nächsten „Highlight“ liegt. Beim langsamen Reisen, wie zum Beispiel beim Zugfahren ist das anders. So lange es noch hell ist oder wieder hell wird, klebe ich also mit der Nase möglichst nahe an der Scheibe (sie ist nicht sauber genug um sie platt zu drücken) und schaue mir die vorbeifliegenden Landschaften an. Mal fahren wir im Schneckentempo, mal rast die Bahn. Mal halten wir an einem scheinbar ausgestorbenen Bahnsteig in der Steppe und wechseln die Fahrtrichtung, mal in einem riesigen Bahnhof einer Stadt in dem es vor Menschen nur so wimmelt. Mit einem kleinen Pappbecher voll heißem, würzigem und gleichzeitig süßem Chai, den der Teeverkäufer durch die Gänge trägt, hocke ich auf dem unteren Etagenbett, stoße mit Franziska an und versuche zu verarbeiten was jetzt schon nach den ersten Tagen auf uns eingeströmt ist. Eins ist klar, es wird abgefahren und ich habe eine konstantes Kribbeln vor Aufregung im Bauch.

In Jaisalmer jagen die an der Bahnhofstation organisierten Tuk Tuks halsbrecherisch das Fort nach oben und als wir aussteigen zeichnet sich ein Bild ab, das ich in meiner Phantasie mit „Tausend und einer Nacht“ verbinden würde, hier aber nicht erwartet habe. Blauer Himmel bildet den perfekten Kontrast zu gelben Sandsteinhäusern die mit Verzierungen aus einer anderen Welt die Straßen säumen. Hier in der oberen Stadt fahren nur noch Motorräder und wir legen den Weg zur Unterkunft durch die engen Fortgassen zu Fuß zurück. Dort angekommen gibt es die erste von unzähligen hervorragenden indischen Mahlzeiten, auf der zu allen Seiten offenen Dachterrasse. Am liebsten würde ich einfach hier bleiben, einen Lassi nach dem anderen trinken und den Ausblick genießen. Allerdings haben wir viel vor. Das Gepäck wird nur kurz umgepackt und mit einem kleinen Rucksack für eine Übernachtung brechen wir auf zu einem Ausflug in die Thar Wüste.

 

 

Zunächst zwei Stunden zu siebt im Auto das für vier ausgelegt ist, geht es noch eine Stunde auf einem schwankenden Kamel zu einer Art Lager, das wir gemeinsam für die Nacht aufbauen. Inmitten von Dünen steht eine kleine Holzbaracke die vollgestopft mit Bettgestellen und Decken ist. Jede/r zieht sich eine Liege an den selbstausgesuchten Platz und setzt sich kurz hin um zu realisieren: hier wird also geschlafen. Ohne Toilette oder andere Waschmöglichkeiten, ohne Strom, ohne Dach über dem Kopf – dafür aber mit Skorpionen und Schlangen die uns tatsächlich auch über den Weg laufen. Leider. Denn das bedeutet auch gleichzeitig ihr Lebensende. Dem Sonnenuntergang schauen wir auf einer riesigen Sanddüne sitzend mit einem Glas frisch gekochtem Chai zu und beobachten schwarze Käfer, wie sie um die Wette die Dünen herunterlaufen. Nach einem auf dem Feuer gekochten Abendessen unter den schweren handgefertigten Decken zu liegen, die kalte Wüstenluft einzuatmen und den Sternenhimmel zu beobachten bevor du einschläfst… eines meiner Highlights in 2017. Mit Kamel und Auto geht es am nächsten morgen für zwei Nächte wieder zurück nach Jaisalmer, wo wir uns etwas ausruhen, die von außen wie innen wunderschönen Jain Tempel besichtigen und auf einen Aussichtspunkt kraxeln um obere und untere Stadt bei Sonnenuntergang zu beobachten. Was für ein Auftakt nach Neu Delhi.

Jodphur ist der nächste Stopp – die „Blaue Stadt“. Sie heißt so, weil ein Großteil der dort stehenden Häuser blau und weiß angestrichen ist. Traditionell kennzeichnen diese Farben die höchste der Kasten im religiösen Kastenwesen Indiens. In diesem System werden Menschen von Geburt an in Kategorien (Kasten) zu Stand, Beruf, Bildung, Macht eingeteilt. Nach der indischen Verfassung von 1950 darf zwar niemand aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer Kaste benachteiligt oder diskriminiert werden, die Realität sieht wie so oft aber anders aus. Die Ärmsten der Armen in Indien gehören häufig zur untersten Kaste oder werden sogar als „Unberührbare“ außerhalb des Kastenwesen kategorisiert. Sie sind es die in den Slums der Millionenstädte wohnen, keine hohe Lebenserwartung haben und auf dem Land sind es diese Frauen und Kinder die vergewaltigt und getötet werden ohne das die Schuldigen (oftmals aus den höheren Kasten) dafür bestraft werden. Ausgrenzung, Rassismus, Diskriminierung, Korruption und Benachteiligung… Themen für eine eigene Fernabwesenheitsnotiz. Alles Gründe aus denen ich die indische Gesellschaft nicht verstehe. Trotz aller Toleranz und Respekt den ich mir für Land, Leute und über Jahrtausende gewachsene Kultur vornehme, ist das aus meiner Sicht scheiße und bedarf Veränderung.

In Jodhpur kommen wir mit der früheren Geschichte Indiens in Berührung. Die Geschichte von Maharadschas, Kriegen und Festungen die wirklich zum Träumen in eine andere Zeit einlädt. Die Festungsanlage „Meherangarh“ trohnt seit dem 15. Jahrhundert über der blauen Stadt und ist ein riesiges, pompöses Bauwerk vollgestopft mit Elefantensatteln, Baldachinen, Dolchen und anderen prächtigen Zeugen dieser Zeit, die jeden Historienfilmmacher aus den Socken hauen würden. Bei allem Träumen und Schwärmen darf man aber auch nicht vergessen, dass Maharadschas, Kriege und Festungen gleichbedeutend mit Leid, Hunger und Tod für die damalige Bevölkerung waren. Eine Epoche die für den Großteil der Bevölkerung eher bitter als goldverziert war.

 

 

Das schon zu dieser Zeit höchste Fest des Hinduismus Diwali steht vor der Tür und wir spüren hier bereits die Vorbereitungen die insgesamt Wochen andauern und ihren Höhepunkt bald finden werden. Auf dem Markt feilschen Verkäuferinnen mit Kundinnen um ein paar der in Milliardenauflage extra angefertigten Öllichtschalen aus Ton, die am Lichterfest wie Diwali auch genannt wird, das Land beleuchten und somit verkürzt gesagt, den Sieg von Licht über Dunkelheit repräsentieren. Der Sieg vom Guten über das Böse. Ein Kampf und ein gewollter Sieg der in der gesamten Menschheitsgeschichte, egal wo und wann eine Rolle spielt(e).

 

 

In Udaipur, der oft als schönsten und romantischsten Stadt Indiens beschriebenen nächsten Station, dürfen wir Diwali dann wirklich miterleben. Miterleben ist auch das richtige Wort dafür. Überall hängen Lichterketten, Millionen Öllampen brennen vor Hauseingängen, alle Straßen, Häuser und Plätze sind gesäubert (zumindest mehr als sonst), die Menschen sind ebenfalls herausgeputzt, wünschen „Happy Diwali“ und sind sehr freundlich. Eine schöne Stimmung die im Besonderen wenn es dunkel wird wirkt. Inbegriffen sind allerdings auch Tage und Nächte andauernde Feuerwerksballerei, die nur nervt und die Luft noch mehr verschmutzt als sie sowieso schon ist. Ich schaffe es vor Sonnenaufgang Einheimische bei ihrer täglichen Morgenzeremonie zu beobachten und mit ihrem Einverständnis Bilder zu schießen. Udaipur hat wirklich Charme und bei allem Lärm und Dreck den die Feuerwerksköper machen (mir ist sogar eine abgebrannte Rakete auf den Kopf gefallen, während ich mit einer Freundin videotelefoniert habe… es gibt also Zeugen für meine Genervtheit), ist es doch die leiseste und sauberste Stadterfahrung bisher. Darüber und über das kurze Verschnaufen sind wir wirklich glücklich.

Das ändert sich nämlich wieder schlagartig als wir in Pushkar ankommen. Die Stadt mit dem heiligsten aller Schöpfungstempel. Wir wohnen etwas außerhalb des Stadtkerns und laufen jeden Tag zu Fuß hinein. Es sind unglaublich viele Menschen hier, die auf Pilgerfahrt sind und diesen Tempel sehen möchten oder im heiligen See baden wollen. Irgendwie reihen wir uns barfuß (eklig aber notwendig, weil Vorschrift) in die Menschenmassen ein um ebenfalls einen kurzen Blick auf die Tempelfigur zu werfen oder den See zu umrunden. Mir ist das insgesamt zu viel, zumal ich Massen an streng religiösen Menschen eher befremdlich finde und außerdem zählt im Gedränge betatscht zu werden, nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftigungen.

Die nächste Station heißt Jaipur. Auch unter dem Namen die „Rosa Stadt“ bekannt, erstehe ich hier ein für mich einmaliges Erinnerungsstück. Eines der Dinge die ich insgesamt aus 2017 mitnehme ist meine neue Leidenschaft Bewegung auf Bild einzufangen und mit einer Kamera von 1871 schießt ein Strassenhändler ein original Schwarz-Weiß-Bild von uns als Gruppe. Ich laufe später zurück um eins von mir alleine schießen zu lassen und mir genau erklären zu lassen wie es funktioniert. Der Prozess dauert 15 Minuten. Stillsitzen, Negativfoto, Entwickeln, Trocknen. WOW.

 

 

Ansonsten reißt mich Jaipur eher nicht vom Hocker. Weniger rosa als chaotisch und dreckig schauen wir uns fast nichts an was in Erinnerung bleibt. Einzig den Besuch im Bollywood-Kino habe ich lebhaft vor Augen. Ein Kinosaal für 1.000 Menschen die während dem 3,5 Stunden langen Film mitschreien, tanzen oder singen – sowas gibt’s bei uns nicht. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich irgendwo auf Youtube zu finden bin unter dem Hashtag #EuropäerintanztwieeinDeppimKino. Wie das passiert ist? Der Film ist zu Ende, wir schwatzen noch eine Runde, der Saal ist so gut wie leer (glaube ich, ohne daran zu denken, dass ich hinten ja keine Augen habe) und fange an zur Bollywoodmusik zu tanzen. Nach ein paar (wie ich finde) bühnenreifen Moves drehe ich mich um und bemerke das indische Paar, das mich mit ihren Smartphones filmt, anlacht und ermuntert weiter zu machen. Als ich augenblicklich aufhöre, erstarre und zuerst kreidebleich dann rot werde, laufen die beiden winkend und breit grinsend an mir vorbei mit einem „good Job“ und „bey“… Ja. Klar. War schon lustig. Für die anderen. Noch Tage nach dem eigentlichen Vorfall.

Auch noch in Abhaneri. Einem kleinen Dorf im Landesinnern von Rajahstan, dass für seinen Stufenbrunnen aus dem 8. Jahrhundert bekannt ist und das mit einer Übernachtung ohne Lärm eine Pause darstellt auf unserem ständig lautem Weg nach Agra. Der Stadt in der das Taj Mahal steht.

Im Kopf habe ich Indien früher immer augenblicklich mit dem Taj Mahal verbunden. Dieser überdimensionale Liebesbeweis eines Mannes an seine verstorbene Frau ist wohl eins der bekanntesten Bauwerke dieser Welt. Größe, Prunk und die Geschichte dahinter ziehen seit Ewigkeiten Reisende an diesen Platz. Nicht umsonst. Es ist ein atemberaubender Bau bzw. eine atemberaubende Anlage. Wenn man einmal die Massen am Eingang hinter sich gelassen hat, erblickt man nicht nur das Mausoleum sondern ein Areal das trotz Überfüllung immer noch beängstigend schön wirkt. Ich komme nicht umhin kurz die Millionen von Menschen auszublenden und zu träumen ich wäre alleine hier. Immerhin ist das einer der Plätze die ich schon lange im Kopf hatte wenn es um so etwas wie Routenplanung für die Reise ging. Aber es bleibt beim kurzen Traum und der Erkenntnis die man immer mal wieder auf der A40 hat, wenn es länger dauert durchs Ruhrgebiet zu kommen: Auch du bist der Stau. Auch ich bin wahrscheinlich dem ein oder der anderen zu viel hier, der/die gerne alleine wäre.

 

 

Deshalb ist unser Ausflug im Morgengrauen des nächsten Tages zum weiter entfernt, aber gegenüberliegenden Park mit Blick auf das Taj Mahal, einfach besser. Die Sonne schafft es zwar auch hier nicht sich aufgrund der immensen Luftverschmutzung ganz zu zeigen, taucht die Szenerie aber in ein Licht, dass man sonst nur kennt wenn man einen unnatürlichen Filter übers frisch geschossene Handybild packt. Hat irgendwie was, aber dann auch wieder nicht.

Was auf keinen Fall was für mich hat, ist Varanasi. Ein heiliger Ort für die Hindus. Der Ort an dem der Fluß Ganges, die Mutter allen Lebens auch zur Mutter allen Todes wird und die verbrannten Körper der Gläubigen aufnimmt. Stufen führen von der Stadt aus hinunter zum Fluss, der Wunderkräfte besitzen soll. 100 Meter flussabwärts neben dem Platz an dem die verbrannten Körper in den Ganges gegeben werden, putzen sich die Menschen die Zähne mit genau diesem Wasser, waschen ihre Wäsche und Kinder springen mit Saltos kreischend in das breite trübe Gewässer.

 

 

Für mich schwer zu verarbeiten und sicherlich etwas, dass mir noch oft in den Sinn kommt, wenn ich an meine Zeit in Indien zurückdenken werde. Wir sitzen in Booten oder laufen auf den Treppen um die Szenerie zu beobachten und um zu versuchen aufzunehmen, was schwer zu begreifen ist. Es ist der letzte Punkt der Reise den wir gemeinsam als Gruppe machen und nach einer unruhigen Übernachtfahrt mit Indian Railways sind wir wieder in Neu Delhi. Von hier aus wollen Franziska und ich noch den Süden bereisen und in 3 Wochen startet der Flieger zurück nach Hause.

 

Franziska, Mahaveer und ich mit irrem Blick 🙂

 


 

Nur wenige wussten, dass ich schon nach einem Jahr zurück kommen wollte und es sollte auch eine Überraschung bleiben. Die wird’s dann leider auch. Früher als gedacht und ziemlich abrupt endet die Reise durch Indien und damit auch meine Weltreise. Ich packe nicht meinen Rucksack um nach Hause zu fliegen, sondern packe in die Scheiße und fliege auf die Nase bzw. den linken Fuß und den rechten Oberschenkel. Einigen von euch habe ich persönlich erzählt was nach dem Sturz alles passiert ist und warum mein Hintern in diesem Leben nicht mehr in Indien aufschlagen wird. Deshalb schreibe ich in dieser Fernabwesenheitsnotiz nicht über meine Erfahrung mit dem indischen Gesundheitssystem und der Demut die diese mit sich bringt. Wer mich trifft und es wissen will, fragt bitte einfach nach und wir können bei einem Chai in aller Ruhe und Freundschaft sehr gerne darüber quatschen.

Ich will stattdessen über etwas anderes schreiben, das viel wichtiger ist. Darüber was für ein Glück ich habe. Glück, Menschen in meinem Leben zu wissen die nichts als liebevoll, gütig, hilfsbereit und wunderbar sind. Glück meine Familie zu haben. Glück, den Begriff Familie sogar erweitern zu können und mehr Menschen darunter zu fassen zu können als die Definition es eigentlich zulässt. Glück, Menschen zu kennen die alles stehen und liegen lassen um dich zu unterstützen und für dich da zu sein.

Ab der ersten Sekunde hatte ich Franziska an meiner Seite, die getan hat was sie konnte um zu helfen. Ebenso unser Kumpel Mahaveer von der Reisegesellschaft. Ab dem ersten Telefonat nach Hause haben meine Familie, meine Freundin und alle FreundInnen die es nach und nach wussten, sich überschlagen mir zu helfen und mich zu besuchen und für mich da zu sein. Eine ganze Zeit lang nur mit mir selbst und dem Schock beschäftigt, kann ich mir im Nachhinein gut vorstellen, dass ich mit der Nummer für einige Sorgenfalten und graue Haare gesorgt habe die vorher noch nicht da waren. Nachdem ich wieder in Deutschland war, ungeplant und im Liegen und nicht stolz und lächelnd auf meinen zwei Beinen wie es eigentlich hätte sein sollen, ist mir bis heute nichts als Liebe und Freundschaft unters Herz gekommen. So oft kann ich gar nicht Danke sagen wie diese Menschen es eigentlich verdient hätten. So viele Hüte kann ich nicht ziehen, so viele Knickse nicht machen, so viel Liebe nicht zurück geben. Auch wenn ich mir Mühe geben werde.

An euch Lieblingsmenschen geht diese Fernabwesenheitsnotiz. Ihr die es mir vor, während und nach der Reise mit allen Nachrichten und Kommentaren, mit jedem Kontakt so leicht gemacht habt und macht wieder zu Hause anzukommen.

Ihr alle habt den guten, alten, kitschigen Kalenderspruch zu (r)einer Wahrheit gemacht.

Zu Hause ist dort wo dein Herz ist. Zu Hause war und ist Schillingen, Mandern und Umgebung, Trier, Biersdorf, Hattingen, Dortmund, Düsseldorf, Wuppertal, Köln, Duisburg, Herne, Hagen, Ennepetal, Mainz, Frankfurt, Hamburg, Zwickau und viele Orte mehr. Zu Hause ist Toronto.

Zu Hause ist dort wo mein Herz ist. Danke, dass es Platz bei euch hat.

 


 

Und zu Hause sind viele neue Plätze und Menschen, die auch nicht mehr rausgestrichen werden können. Loszureisen und das alles zu tun, war eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. Auch wenn ich manchmal an uns als Menschheit zweifle, hat doch jede einzelne Begegnung auf dieser Reise ihrs dazu getan sie für mich unfassbar wertvoll zu machen. Ich finde ein paar Unebenheiten gehören immer mit ins Bild, damit man das Große und Ganze besser sehen und schätzen kann und manchmal waren nicht so schöne Begegnungen dabei… Aber das Bild an sich ist mehr als großartig, so wie die Menschen, von wo auch immer und in welcher Sprache auch immer, die dieses Jahr zu dem gemacht haben was es immer bleiben wird. Unvergesslich.

 

Stellvertretend für all die tollen Menschen die man in so einem Jahr trifft, ein Bild unserer Indienreisegruppe.