Castro auf der Insel Chiloe, im Süden vom gefühlt längsten Land der Erde, ist der Ort aus dem ich mich mit dieser Fernabwesenheitsnotiz bei Euch melde.

Ich bin noch lange nicht fertig mit dem Reisen durch Chile, aber da der letzte Artikel schon 4 Wochen alt ist, ich soviel erlebt/gesehen habe und übermorgen in Argentinien sein werde, gibt es mal wieder etwas zum Nachlesen und –schauen.

Castro – Palafitos

Vorgestern bin ich nach Castro zurück gekommen um mal für ein paar Tage einfach nicht zu reisen oder anderes anstrengendes Zeug zu machen, sondern um zu entspannen und aufzutanken, bevor es wieder richtig los geht. Bei einer heißen Empanada und Tee mit Milch auf der Terrasse meines Hostels, das ein Palafito (Holzstelzenhaus) ist und täglich von der Flut unterspült wird, schreibt sich die Notiz fast von selbst.

Palafits – Hostelterrasse

Aber um von vorne anzufangen:

Seit etwas über einem Monat bin ich auf dem zweiten Kontinent meiner Reise. Südamerika.

Neuer Kulturkreis, neue Sprache. Um mich einigermaßen selbst verständigen zu können und auch mit mehr Menschen als anderen Reisenden richtig in Kontakt zu kommen und somit zu versuchen die Kultur besser zu verstehen, stand für mich fest, ich will Spanisch lernen.

Sprachkenntnisse am Anfang :      NADA

Sprachkenntnisse Heute:               Die Basics funktionieren. Ich komme klar.

Gestern hat mich sogar ein Taxifahrer gelobt, weil ich es geschafft habe den Fahrer oder die Fahrerin -war nicht ersichtlich- vor uns aufzufordern seinen/ihren Hintern aus dem Weg zu schaffen. Eine Sache die ich in Deutsch wirklich perfekt beherrsche und die auf Spanisch noch mehr Spaß macht.

Dass das funktioniert hat, ist der Verdienst meiner herzlichen Gastfamilie in der ich 2 Wochen gelebt habe und einer wirklich sehr guten Spanischschule mit ihren LehrerInnen in Santiago. In knapp 3 Wochen haben die es nämlich geschafft, mich zu befähigen ein wenig auf Spanisch zu kommunizieren.

So ungefähr höre ich mich auf Spanisch an… nicht ganz so schlimm.

Stadt

Während meiner Zeit in Santiago habe ich mir die Stadt und das Umland ausführlich angesehen. Die Metropole mit ihren tollen Barrios, Aussichtspunkten, Museen, Theateraufführungen, die etwas außerhalb gelegenen Weingüter, Valparaiso als Hochburg wunderschöner Streetart, die Isla Negra mit einem von zwei Wohnhäusern Pablo Nerudas die ich besucht habe… Orte, für die es sich definit lohnt nach Chile zu kommen.

Und sie hat mich gepackt, die Stadt und die Region drum herum. Zu einem großen Teil aufgrund der Menschen die ich dort getroffen habe und die mich ohne es geplant zu haben mit anderen interessanten Menschen und Gruppen zusammengebracht haben.

Zum Beispiel habe ich über einen meiner Spanischlehrer betriebliche Funktionäre und den Vorsitzenden der chilenischen Gewerkschaft SINTEC kennengelernt und hatte somit das Glück einen hautnahen Einblick in die Arbeitsrealitäten und die Gewerkschaftsstrukturen vor Ort zu erhalten.

Im Garten des Gewerkschaftshauses von SINTEC

Die KollegInnen von SINTEC haben es in 10 Jahren geschafft, durch erfolgreiche Tarifauseinandersetzungen 15.000 Beschäftigte in der Konstruktions- und Metallbranche zu organisieren und sind von Null mittlerweile bei einem eigenen Gewerkschaftshaus und zwei Festangestellten angekommen. In Chile leben die Arbeiter der Konstruktionsbranche häufig in Camps neben der Baustelle und die Lebensumstände dort, sowie der Lohn sind schlecht. Im November letzten Jahres haben sie zwei deutsche Unternehmen bestreikt um ihren Lohn und ihre Lebensbedingungen zu verbessern – es ist ihnen zu einem großen Teil gelungen und auch wenn die Ergebnisse der Tarifauseinandersetzungen Kompromisse sind und es immer besser geht, schaffen die KollegInnen hier gemeinsam wichtige und echte Verbesserungen.

Organizate y Lucha!

Nach dem Militärputsch 1973 und der Verfolgung von GewerkschafterInnen durch die Militärjunta von General Pinochet, wurde das individuelle und kollektive Arbeitsrecht fast komplett ausradiert, so dass die Organisierung der Belegschaften in Gewerkschaften sehr schwierig ist, Streiks heute meist illegal sind und hart geführt werden müssen. Die Gewerkschaftsstruktur ist insgesamt gespalten und 450 Einzelgewerkschaften die häufig nur pro Betrieb aktiv sind oder werden können, machen es nicht einfacher große kollektive Regelungen zu treffen, die für alle gelten. An Einfallsreichtum und richtiger Kampfbereitschaft mangelt es aber zumindest den KollegInnen von SINTEC deshalb nicht. Beim Streik der Metroarbeiter von Santiago (eine neue Linie sollte ausgebaut werden), haben sie das Auto des Chefs an einen Baukran 110 Meter hoch in die Luft gehoben und erst wieder rausgerückt, als es eine Einigung gab.

Das Gewerkschaftshaus ist ein offenes Haus für Kunst und Kultur und während unseres Treffens hat eine Theatergruppe (Manos a la obra – Ran an die Arbeit) ständig Tische und Stühle auf einen nahegelegen Platz geschleppt, um ein paar Stunden später ein Theaterstück über den in diesem Mai vor 10 Jahren erschossenen Gewerkschafter Rodrigo Cisterna aufzuführen. Eine sehr beeindruckende Aufführung, die mit zu meinen besten Momenten im letzten Monat gehört.

Plakat zum Theaterstück

Ebenfalls während der Zeit der Diktatur, wurde der Sozialstaat fast abgeschafft, Chile als eine Spielwiese des Neoliberalismus erklärt und alles was privatisiert werden konnte, wurde privatisiert. Das staatliche Rentensystem ist derartig schlecht, dass der Vater meiner Gastfamilie der vor ein paar Jahren schwer erkrankt ist und heute nicht mehr arbeiten kann, nur Anspruch auf die staatliche Mindestrente von 10 % hat. Studien- und Schulgebühren sind immens hoch und ein Großteil der Einrichtungen wird als privatwirtschaftliches Unternehmen geführt, was bei einer Schließung auch den Verlust der gesamten Gebühren bedeutet, die die jungen Menschen hier selbst oder über ihre Eltern finanzieren. Nicht verwunderlich, dass sich die Zustimmung für die Präsidentin Michelle Bachelet und ihre Regierungskoalition im Keller befindet.

Viele von euch werden mitbekommen haben, dass das Land seit ein paar Wochen zusätzlich von Waldbränden in einem noch nicht dagewesenen Ausmaß heimgesucht wird, für die unter anderem die maroden Stromleitungen verantwortlich gemacht werden. Der Schaden beträgt Hunderte von Milliarden Euro, ohne das schon alles absehbar und kalkulierbar ist.

Große Herausforderungen vor denen die ChilenInnen stehen. Die nächsten Jahre werden spannend.

Land – Wasser

Im Moment reise ich im Süden Chiles umher und über die wunderschöne Landschaft mit Seen und Vulkanen um Puerto Montt und Puerto Varas, bin ich auf der Isla Chiloe gelandet.

Lago Llanquihue – Vulkan Osorno

Die Insel ist für mich die perfekte Vorbereitung auf die richtig kalten Regionen in Chile und Argentinien. Es ist nämlich für mein Empfinden schon ziemlich frostig morgens und nachts. Regen und Wolken sind fast tägliche Begleiter -kein Wunder- auf ein Jahr gerechnet regnet es an 300 Tagen. Das sorgt aber auch dafür, dass die Insel in eintausendundzwei Grüntönen erstrahlt und sich so ein perfekter Kontrast zum eisblauen und eiskalten Pazifikwasser ergibt. Das Wasser kommt mit dem Humboldtstrom aus der Antarktis und das bedeutet bei einer durchschnittlichen Temperatur von 12 Grad für mich: schön zum Anschauen, Befahren und Beobachten von Pinguinen, aber nicht zum Schwimmen. Bekannt ist die Insel außerdem für ihre aus Holz gebauten Kirchen, die architektonisch innen wie außen tatsächlich beeindruckend sind.

Isla Chiloe

Die Mythen der Insel(n) -angeblich gibt es hier jede Menge Hexen und Trolle- und Traditionen sind unzählbar und spannend. Eine Besonderheit in die ich durch Zufall reingeraten bin war ein Minga. Bei der Minga transportieren die Einwohner ein Haus von einer vorgelagerten Insel zur nächsten. Zuerst übers Meer mit Booten und danach ziehen Kühe das Haus durch den neuen Wohnort zum eigentlichen Zielstandort. Die Besitzer sind bei dem gesamten Prozess im Haus und die halbe Insel ist auf den Beinen um das Geschehen mit einem großen Volksfest zu begleiten.

Das Haus kurz bevor die Kühe es aus dem Meer ziehen

Wieder staune ich über Menschen, Begegnungen, Landschaften und Ausblicke die ihresgleichen suchen und meine Knochen werden ordentlich gebeutelt durchs Rumlaufen. Trotzdem macht es Spaß draußen und vor allen Dingen auf Booten unterwegs zu sein und so die teils raue Natur des hier beginnenden chilenischen Teils von Patagonien zu bewundern.

Soweit die Zwischennotiz aus Chile. Mehr kommt vermutlich im nächsten Monat, der Norden mit dem Valle de Elqui und der Atacama Wüste will neben Feuerland in Argentinien schließlich auch noch bereist werden. Zuerst geht es aber ans Ende der Welt.