Jedes mal bevor ich anfange etwas für diesen Blog aufzuschreiben, sitze ich vor meinem virtuellen Blatt weißen Papiers und denke darüber nach, wie ich Euch meine letzten Wochen erzählen kann, so dass es auch genau das widerspiegelt was ich erlebt habe.
Wie es mir ergangen ist und was ich gefühlt habe.

Und diesmal ist so ziemlich alles an Gefühlen dabei gewesen.

Vorfreude, Freude, Wehmut, Heimweh, Bewunderung, Ergriffenheit, Trauer, Wut.

Und all das habe ich auch noch in und durch für mich zwei völlig unterschiedliche Länder und Arten des Reisens erlebt.

Zu zweit in Thailand, weil Besuch von zu Hause da war, der lange erwartet und gefeiert wurde. Alleine in Kambodscha, weil der Besuch wieder nach Hause geflogen ist und nach gut acht Monaten unterwegs, ein ganz schönes Loch hinterlassen hat.

Wie packt man das alles in eine einzige Fernabwesenheitsnotiz?

Ich schätze mal man fängt einfach an.

Und zwar von hinten. Mit dem Teil der mich ergriffen und unfassbar traurig und wütend gemacht hat. Ich schreibe im Folgenden über den Genozid in Kambodscha und lasse nicht aus was mich so derart beschäftigt. Wem das zu krass sein könnte, bitte bei „Bewunderung“ weiterlesen.

Ergriffenheit, Trauer, Wut.

Ich bin gerade in Kambodscha. Genauer gesagt in der Hauptstadt Phnom Penh und wenn ich von hier abreise um über China nach Kanada zu fliegen (lange Geschichte) dann hat mich wieder einmal das Auseinandersetzen mit der Geschichte eines Landes geprägt.

Bei der letzten Fernabwesenheitsnotiz habe ich über den Vietnamkrieg geschrieben und welche Auswirkungen dieser  hatte und noch heute für die Menschen hat. Kambodscha war ebenfalls von den Bombardierungen der USA betroffen und musste abertausende zivile Opfer beklagen. Was allerdings neben dem Vietnamkrieg und über dessen Ende hinaus in diesem Land passiert ist, ist kaum zu fassen und an Grausamkeit zu übertreffen.

Weil viel Armut und Leid während den Jahren des Vietnamkrieges herrschte, wünschten sich die KambodschanerInnen einen Wechsel ihrer Regierung und bejubelten zu Beginn die Revolutionäre um Pol Pot und seine Schergen – die Roten Khmer – als Befreier von der Militärregierung und Errichter des sofort ausgerufenen „Demokratischen Kambodscha“. Sie hegten Hoffnung auf ein besseres Leben für sich und ihre Familien.

Das hatte allerdings ein mehr als schnelles Ende. Innerhalb von 3 Tagen nachdem Phnom Penh durch die Roten Khmer im April 1973 eingenommen wurde, fegten sie die Hauptstadt und alle anderen Städte leer. Die Menschen wurden zu Millionen in ermüdenden Märschen die viele das Leben kosteten, aufs Land vertrieben um dort unter unmenschlichen Bedingungen in der Landwirtschaft zu arbeiten und zu Tausenden zu sterben.

Warum? Die Roten Khmer waren der fixen Idee verfallen, dass alles Intellektuelle, Städtische, Moderne, den angestrebten Kommunismus behindern würde und nur der Bauernstaat, letztendlich die Lösung wäre.

Wer eine Brille trug, wessen Hände zu sanft waren, wer eine Fremdsprache beherrschte, wer auch nur ein Widerwort gab, oder wessen Familienmitglied im Verdacht stand gegen den Staat (Angka = die Organisation) zu arbeiten, wurde interniert, gefoltert, zu Geständnissen gezwungen und nach dem Ablegen selbiger, getötet.

Ihr habt richtig gelesen… wer eine Brille trug und weiche Hände hatte.

In 3 Jahren, 8 Monaten und 20 Tagen tötete das Regime so zwischen 1,4 und 2,3 Millionen ihrer Landsleute. Schätzungen gehen davon aus, dass die Zahlen jeweils hälftig durch Exekutionen und die tödlichen Lebensumstände auf dem Land entstanden sind.

Und das alles geschah abgeschottet und ungehindert von der restlichen Welt. Über Jahre unbehelligt, nicht unter Strafe gestellt und selbst als sie 1979 gestürzt wurden und daraufhin fliehen mussten, behielten die Roten Khmer ihren Sitz bei den Vereinten Nationen. Sie behielten diesen Sitz, weil diejenigen die sie gestürzt hatten (Vietnam) auf der vermeintlich falschen Seite des kalten Krieges standen.

Ich besuche sowohl eines der sogenannten „Killing Fields (Choeung Ek)“ die riesige Massengräber und Zeugen der Grausamkeiten sind, als auch das Sicherheitsgefängnis S-21 in Phnom Penh das von insgesamt zwischen 14.000 bis 20.000 Gefangenen die dort eingekerkert wurden, von nur einem knappen Dutzend überlebt wurde.

Wenn es mir in Vietnam erst schwer gefallen ist, in einem sattgrünen Reisfeld zu stehen und langsam zu begreifen was dort passiert ist, ist es an diesen beiden Orten genau umgekehrt.

Ich spüre sofort was hier vorgefallen ist, welche Grausamkeiten sich hier abgespielt haben. Ich stehe vor dem Baum, der von den Henkern benutzt wurde, um die Köpfe der Kinder der zu Exekutierenden zu zerschmettern (es wurde immer die gesamte Familie umgebracht und Kugeln wurden fürs Töten nicht verschwendet) und es legt sich eine Traurigkeit um mich, die ich bis heute nicht so richtig abschütteln kann und nur selten an anderen Orten gespürt habe. Ein Massengrab folgt dem nächsten und noch heute, werden bei Regen Kleidung und Gebeine der Opfer ausgewaschen und treten für jede/n BesucherIn sichtbar zu Tage.

Auch ich habe eines meiner Armbänder dort gelassen

Im Sicherheitsgefängnis werden Geschichten erzählt die so schlimm sind, dass ich nicht die Einzige bin, die durchgehend mit Tränen in den Augen durch die einzelnen Zellentrakte und Gebäude schleicht.

Zellentrakt im Sicherheitsgefängnis S-21 Phnom Penh

Eine Schreckensherrschaft die dieses Land um Jahrzehnte nach hinten geworfen hat und nahezu jede/r KambodaschanerIn ist in irgendeiner Weise davon betroffen. Bis 1997 terrorisierten die Roten Khmer Kambodscha als immer noch bestehende Guerillagruppe. Erst vor 20 Jahren ergaben sich die letzten der Verbrecher.

Das ist die verstörende Wahrheit dessen was sich hier abgespielt hat. Allerdings auch nur ein Bruchteil von dem, was einem beim Besuch der beiden Gedenkstätten begegnet und erzählt wird und weil es mir hilft mir die Dinge die ich sehe von der Seele zu schreiben, musstet ihr das jetzt leider auch lesen. Ich würde ohne zu zögern jedem/r empfehlen die beiden Orte zu besuchen, hier werden Menschen geehrt und Taten für die Nachwelt zum daraus Lernen festgehalten. Bei aller Traurigkeit die dort ausgelöst wird, ist es wichtig dorthin zu fahren.

Denn,

Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar.

Niemand ist aus welchem Grund auch immer, mehr wert als ein/e Andere/r.

 

Wenn ich sonst nicht wirklich religiös bin, dann glaube ich doch unter anderem an genau diese Dinge. Und es will mir nicht so richtig in den Kopf, warum sich menschenverachtende Geschichte (egal durch welche politische oder religiöse Fehlleitung verbrochen), immer wieder wiederholt.

Klar, nüchtern betrachtet ist es jedes Mal das Streben nach Macht, das Verlangen über Anderen zu stehen und mehr wert zu sein, die so etwas zu Tage führen.

Aber echt jetzt? Wie kann der Mensch so scheiße sein? Wie kann der Mensch so etwas zulassen? Wie kann der Mensch nicht aus seinen Fehlern lernen? Warum ist der Mensch immer wieder so dumm!?

Was hier in Kambodscha passiert ist, war nicht das Erste und auch nicht das Letzte mal, dass menschliche Abgründe zu Tage getreten sind, die unbehindert und unwidersprochen zu Millionen von Todesopfern geführt haben.

Und auch wenn das jetzt ein gewagter Sprung ins Hier und Jetzt und nach Deutschland ist, ist es ja nicht so als würden aktuell nicht wieder jede Menge Hohlbratzen einer faschistischen Idee hinterherlaufen und wir uns damit beschäftigen müssen Nazis in unseren Parlamenten sitzen zu haben. Was zur Hölle stimmt mit denen nicht? Und da kann mir keiner erzählen, man könnte nicht mit ein bißchen Verstand im Kopf nachvollziehen, dass tatsächlich vorherrschende Ungerechtigkeiten NICHT durch Nazis und ihre auf Angst und Ausgrenzung aufgebaute Ideologie abgeschafft werden.

Der Bruder eines in S-21 gefoltert und dann in Choeung Ek exekutierten Häftlings, hat es beim Prozess gegen den ehemaligen Leiter des Gefängnisse meiner Meinung nach gut auf den Punkt gebracht und ich versuche es mal mit meinen Worten wiederzugeben. Er hat das auch nur tun können, weil er während der Zeit der Roten Khmer im Ausland war und so nicht auch umgebracht werden konnte. 

Böses kann nur dort passieren, wo es unwidersprochen bleibt.

Dort wo sich niemand auflehnt.

Dort wo Menschen die eigentlich sehen können, wegschauen.

Und das ist es was ich wieder einmal mitnehme. Es ist wichtig aufzustehen und sich gegen jede Art von Unterdrückung, gegen jede Art von Ausgrenzung, gegen Rassismus und Faschismus zu stellen, aus der Geschichte zu lernen, Aufklärung zu betreiben und den Mund aufzumachen wo es nötig ist. Auch wenn es Kraft kostet.

 

Bewunderung.

Die roten Khmer zerstörten neben all den Leben auch viele religiöse Stätten und Tempel. Jedoch haben sie die größte Ansammlung von Tempeln des Landes, sogar die größte der Welt, die sich über eine Fläche so groß wie Berlin erstreckt, größtenteils unversehrt gelassen.

Das Weltkulturerbe Angkor mit dem größten Sakralbau der Erde, Angkor Wat.

 

Blick auf den Haupttempel

Wenn ich das ausspreche will ich immer gleich ANGKOOOR WHAAAAT!!!??? brüllen, weil ich so voller Bewunderung für diesen tausende Jahre alten Tempelkomplex bin. Mit einem 3 Tages-Pass ausgestattet kraxeln wir ab Sonnenaufgang in einer wahnsinnigen Hitze jede auffindbare Tempeltreppe hoch und sind abends derart fertig, dass es nach einem Bier ins Bett geht.

 

Schweißtreibende Aufstiege für tolle Ausblicke

Im Wechsel wurden hier über Jahrhunderte so viele hinduistische und buddhistische Tempel von Königen in Auftrag gegeben, den Völkern errichtet, aufgebaut, geschmückt und erobert das man sich vorkommt als würde hinter jedem kleinen Waldstück eine neue Welt liegen oder einen der Wassergräben überspannen.

 

Der Weg zu einem von Wasser umgebenen Tempel

Mal läuft man auf eine Anlage zu, von der unzählige lachende Buddha-Köpfe schon von Weitem dafür sorgen, dass man selbst ungläubig anfängt zu grinsen. Mal läuft man durch einen Tempel der von riesigen Bäumen und der Natur zurück erobert wird. Mal ist man ganz alleine und schafft es diese mystische Atmosphäre auf sich wirken zu lassen. Mal ist man mit hunderten anderen Menschen am gleichen Platz und freut sich gemeinsam über den atemberaubenden Ausblick, nachdem man schweißgebadet und keuchend an der Spitze angekommen ist, ohne aus Versehen runter gefallen zu sein.

 

Bayron – Gesichter von Buddha lachen in alle 4 Himmelsrichtungen

Es ist einfach nur beeindruckend und mit seinen 200 Tempeln etwas, dass sich in meinem Kopf und Gedanken in Bildern und Gefühl, für immer festgesetzt hat.

 

Vorfreude, Freude, Wehmut, Heimweh.

Zurück zum eigentlich Anfang. Nach Thailand. Ungefähr drei Wochen bin ich dort, von denen ich 14 Tage Besuch von zu Hause habe. Wir machen Urlaub und der Besuch bringt alle vier als Überschrift benutzten Gefühle mit sich.

Und das ist eine gute Sache. Sogar eine hervorragende.

Wenn die beste Freundin nach 8 Monaten, gefühlt von einer Sekunde auf die andere mit einem Bier in der Hand auf dem gegenüberliegenden Bett der extra gebuchten Suite über den Dächern von Bangkok sitzt und Nachrichten, Briefe, Geschenke, Schokolade, Schnaps und Apfelschorle (!!!) mitbringt, dann kann man schon mal durcheinander kommen.

Weil man sich so lange darauf gefreut hat, weil man sich dann freut eine schon tausend mal geschriebene Umarmung in Echt zu bekommen, weil man wehmütig an die Anderen denkt die man nicht drücken kann und weil das Heimweh beim Lesen von Briefen von zu Hause regelrecht aus einem herausbricht. Aber wie schön das gleichzeitig auch ist.

Und deshalb gibt es auch gar nicht viel mehr zu sagen, als dass wir eine richtig coole Zeit miteinander hatten.

 

 

In Bangkok sind wir mit einem Tuk Tuk durch die Nacht gebraust und haben uns die Bäuche mit thailändischem Essen vollgeschlagen.

In Ayuatthaya, der ehemaligen Köngisstadt haben wir uns mit Fahrrad und Boot bei 40 Grad zu Tempeln und Königspalästen durchgeschlagen.

Auf Koh Phangan auf der Terrasse des eigenen Bungalow, im Pool, am Strand oder wo auch immer direkte Kommunikation nachgeholt und mit Motorrollern die Insel unsicher gemacht.

Aber was in Thailand sonst so passiert, bleibt ja bekanntlich auch dort.

Ein Fest, mit einem Lieblingsmenschen.

Eines das den Energielevel für die letzten Monate nochmal aufgeladen hat.

DANKE.

Das geht auch an alle die Clarissa Grüße, Drückaufträge, Briefe oder was auch immer für mich mitgegeben haben.

Ich habe mich unglaublich darüber gefreut!